FG Düsseldorf, Az.: 9 K 1625/17 AO
Urteil vom 11.01.2018
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.04.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.06.2017 verpflichtet,
der Klägerin einen Teilbetrag des verbleibenden Rückforderungsbetrags bezüglich Kindergeld für Dezember 2011 bis Februar 2013 in Höhe von 8.246 EUR aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 30 vom Hundert und die Beklagte zu 70 vom Hundert.
Tatbestand
Die Klägerin hielt sich zunächst unter dem Nachnamen A (geboren xx.08.1966 in …) als irakische Staatsangehörige in Deutschland auf. Später stellte sich heraus, dass sie tatsächlich den Nachnamen B trägt (geboren xx.08.1965 in …) und libanesische Staatsangehörige ist. Ihre Personendaten wurden im April 2011 entsprechend im Melderegister geändert. Die Klägerin war bis September 2009 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG); anschließend verfügte sie über Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, und zwar gültig bis 20.12.2010 bzw. bis 30.06.2011.
Im November 2010 beantragte sie bei der Familienkasse Kindergeld für ihre Kinder 1 (geboren 1990), 2 (geboren 1992), 3 (geboren 1997) und 4 (geboren 2001). Die Familienkasse setzte nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen Kindergeld antragsgemäß ab Oktober 2010 fest (Bescheid vom 3.02.2011). Später legte die Klägerin weitere Fiktionsbescheinigungen, gültig bis 02.01.2012, vor, worauf die Familienkasse weiter Kindergeld gewährte. Im Februar 2013 legte die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG vor, die unter dem Ausstellungsdatum 25.11.2011 zunächst bis 24.11.2012 gültig und bis 18.11.2014 verlängert war. Diesen Aufenthaltstitel hatte sie der Familienkasse auch bereits per Telefax am 19.12.2011 „zur Kenntnisnahme“ übersandt [Bl. 95 der Kg-Akte]. Die Familienkasse, die Kindergeldzahlungen vorher ab Dezember 2012 zurückgehalten hatte, gewährte daraufhin weiter Kindergeld. In der Folgezeit kam es zur Aufhebung einzelner Kindergeldfestsetzungen, z. B. für 1 (Bescheid vom 19.04.2013), wobei später (weil 1 ein Freiwilliges Soziales Jahr leistete) der Aufhebungsbescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben und erneut Kindergeld festgesetzt wurde (Abhilfebescheid vom 23.05.2013). Weitere Festsetzungsbescheide ergingen am 26.06.2013 und am 27.09.2013.
Bei einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen fragte die Familienkasse erstmals im Dezember 2014 und Januar 2015 nach, ob die Klägerin in Deutschland erwerbstätig (gewesen) sei und wies darauf hin, dass die Klägerin „nach den vorliegenden Unterlagen“ nicht mehr die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Kindergeldbezug erfülle. Die Klägerin wies nach, dass sie weiterhin [Nachweis über frühere Leistungen ab September 2010 befindet sich in der Kindergeldakte] Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehe, wobei das Kindergeld zum überwiegenden Teil mindernd auf die SGB II – Leistungen angerechnet wurde. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldgewährung gegenüber der Klägerin rückwirkend ab November 2011 auf und forderte für November 2011 bis November 2014 gewährtes Kindergeld in Höhe von 28.601 € von der Klägerin zurück (Bescheid vom 21.01.2015), unter Hinweis auf die fehlenden Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin hiergegen Klage (Az. 16 K 990/15 Kg). Im Klageverfahren half die Familienkasse in Anlehnung an den Senatsbeschluss vom 11.12.2015 (Az. 16 K 990/15 Kg, AO (PKH)) dem Klagebegehren teilweise ab und beließ der Klägerin das Kindergeld für die Monate November 2011 sowie März 2013 bis November 2014 (Änderungsbescheid vom 15.03.2016). Nach Beendigung des Klageverfahrens (Hauptsache-Erledigung im Termin vom 11.05.2016) verblieb ein Rückzahlungsbetrag (für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2013) in Höhe von 11.595 €.
Die Klägerin hatte bereits im Dezember 2015 den Erlass des verbleibenden Rückforderungsbetrages aus Billigkeitsgründen beantragt. Sie erklärte, sie habe im entsprechenden Zeitraum durchgehend um das Kindergeld gekürzte ALG-II-Leistungen bezogen (Bescheide wurden vorgelegt), die nachträglich nicht um den Rückforderungsbetrag erhöht würden.
Die Familienkasse gewährte einen Teilerlass der Rückforderung in Höhe von 589 € (entspricht der nachgewiesenen Kindergeldanrechnung auf ALG-II-Leistungen für Dezember 2011), weil auch bei rechtzeitiger Vorlage des geänderten Aufenthaltstitels vom 25.11.2011 eine Überzahlung für den ersten Monat wohl nicht vermeidbar gewesen wäre (vgl. V 25.2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 DA-KG mit Beispielen). Darüber hinaus (in Höhe von „10.946 €“) lehnte die Familienkasse einen Billigkeitserlass ab, weil die Überzahlung insoweit kausal auf einer Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Klägerin beruhe (Bescheid vom 19.04.2017).
Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie trug vor, sie habe nachweislich im Streitzeitraum ALG-II-Leistungen unter Anrechnung des Kindergelds erhalten. Die Rückforderungsbeträge, die ihr wegen dieser Anrechnung nicht zugutegekommen seien, seien aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 7.06.2017). Sie führte aus, ein Erlass der Forderung wegen sachlicher Unbilligkeit komme in Betracht, wenn die Einziehung den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder dem Zweck der gesetzlichen Regelung widerspreche. Nachteile, die in der Norm selbst begründet seien, rechtfertigten dagegen grundsätzlich nicht die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit. Hier entspreche der Erstattungsanspruch den gesetzlichen Regelungen – eine sachliche Unbilligkeit liege deshalb nicht vor. Auch ein Erlass aus persönlichen Gründen sei nicht geboten. Denn die Klägerin habe ihre Erlassbedürftigkeit nicht nachgewiesen. Außerdem sei sie nicht erlasswürdig, weil sie „die Rückforderung durch ihr Versäumnis, die notwendigen Unterlagen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht vorzulegen bzw. die erforderlichen Angaben zu machen, selbst herbeigeführt“ habe.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Ansicht, die Anrechnung der ausgezahlten Kindergeldbeträge auf die erhaltenen Leistungen nach dem SGB II könne nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht rückgängig gemacht werden. Dies rechtfertige einen Erlass des Rückforderungsbetrages aus sachlichen Billigkeitsgründen. Die Klägerin habe durch die Vorlage der ALG-II-Bescheide ihre Erlassbedürftigkeit hinreichend dargelegt. Sie habe (obwohl es hierauf im Erlassverfahren eigentlich nicht ankomme) auch ihre Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Sie habe nie gearbeitet, deshalb habe sie der Familienkasse auch nicht das Ende einer Beschäftigung mitteilen können.
Die Klägerin beantragt, die Familienkasse unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.04.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.06.2017 zu verpflichten, ihr den verbleibenden Rückforderungsbetrag bezüglich Kindergeld für Dezember 2011 bis Februar 2013 in Höhe von 11.006 € aus Billigkeitsgründen zu erlassen;
außerdem im Wege einer Klageerweiterung die Familienkasse zu verpflichten, Säumniszuschläge in Höhe von 763 € zu erlassen.
Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandten Kindergeldakten der Familienkasse Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Soweit die Klage die Verpflichtung der Familienkasse zum Erlass von Säumniszuschlägen betrifft, ist sie unzulässig.
Es fehlt insoweit an einem vorherigen Verwaltungsverfahren (die Klägerin hat nicht zunächst bei der Familienkasse einen entsprechenden Erlass beantragt) und an einem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-).
2. Soweit die Klage die Verpflichtung der Familienkasse zum Erlass des verbliebenen Rückforderungsbetrags betrifft, ist sie überwiegend begründet, nämlich hinsichtlich eines Rückforderungsbetrages von 8.246 € (für Januar 2012 bis Februar 2013 jeweils 589 €). Darüber hinaus ist die Klage unbegründet.
a) Gemäß § 227 Abs.1 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden (hierzu gehören auch die Familienkassen, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 11 FVG) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 29.08.1991 V R 78/86, BStBl II1991, 906).
b) Soweit die Familienkasse einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen abgelehnt hat, sind ihre Ermessenserwägungen nicht frei von Fehlern.
Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen setzt voraus, dass die Erhebung einer Steuer (hier die Rückforderung einer Steuervergütung) im Einzelfall nicht zu rechtfertigen ist, weil der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, aber die Steuererhebung/ Rückforderung den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft oder gegen allgemeine Rechtsgrundsätze verstößt. Deshalb ist es unsinnig, den Erlass eines Rückforderungsbetrags – wie hier im Streitfall – mit der Begründung zu versagen, der Anspruch ergebe sich nach dem Gesetz. Ein Erlass setzt vielmehr einen gesetzmäßigen Anspruch voraus, der allerdings im offenen Widerspruch zu den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit bzw. dem ersichtlichen Zweck der gesetzlichen Regelung steht.
aa) Im Streitfall sieht die Klägerin diesen Tatbestand (Wertungswiderspruch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen) dadurch verwirklicht, dass sie in dem betreffenden Zeitraum des Kindergeldbezugs Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Anrechnung des Kindergeldes erhalten hat und eine nachträgliche Anpassung dieser Leistungen im Hinblick auf die Rückforderung des Kindergelds von der Sozialbehörde regelmäßig versagt wird. Damit werde die Klägerin insgesamt schlechter gestellt, als sie stünde, wenn ihr von vorne herein die materiell-rechtlich „richtige“ Sozialleistung gewährt worden wäre.
bb) Der Bundesfinanzhof hat in derartigen Fällen zunächst einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen in den Raum gestellt (BFH-Urteil vom 15.03.2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298 mit Anmerkungen Grube in HFR 2007, 996 und in juris-PR SteuerR 27/2007, Anm. 4; BFH-Urteile vom 19.11.2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357; vom 30.07.2009 III R 22/07, BFH/NV 2009, 1983 und vom 22.09.2011 III R 78/08, BFH/NV 2012, 204; BFH-Beschluss vom 27.12.2011 III B 35/11, BFH/NV 2012, 696). Allerdings handelte es sich stets um nicht tragende Urteilsgründe (sog. obiter dicta) in Verfahren gegen Rückforderungsbescheide, bei denen über die Berechtigung eines Erlasses aus Billigkeitsgründen nicht zu entscheiden war. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung ließ sich jedenfalls eine grundsätzliche Verpflichtung der Familienkassen zum Billigkeitserlass nicht entnehmen.
cc) Inzwischen erscheint diese Rechtsfrage geklärt.
Die Verwaltung hat die Grundsätze des Billigkeitserlasses nunmehr ausdrücklich geregelt, und zwar in der aktuellen Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (derzeit aktuell V 25.2 DA-KG 2017, veröffentlicht u. a. auf der Internetseite des Bundeszentralamts für Steuern www.bzst.de, Schaltflächen: Kindergeld/ Familienkassen/ Dienstanweisungen). Es handelt sich dabei um eine sog. ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift (vgl. BFH- Urteil vom 18.04.2013 V R 48/11, BStBl II 2013, 697, Rn. 17). Danach ist ein Erlass auszusprechen, wenn „die Überzahlung des Kindergeldes nicht auf das Verhalten des Berechtigten zurückzuführen ist“ (V 25.2 Abs. 2 Satz 3 DA-KG 2017). Demgegenüber ist ein Erlass regelmäßig zu versagen, wenn/ soweit der Kindergeldberechtigte die ungerechtfertigte Weitergewährung und damit letztlich die Überzahlung des Kindergelds durch die Verletzung seiner Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG selbst herbeigeführt hat (V 25.2 Abs. 2 Beispiel – Variante 1 DA-KG 2017). Die Kindergeldbehörden wollen damit ersichtlich vermeiden, eine generelle Verpflichtung zum Erlass des Kindergeld-Rückforderungsanspruchs bei einem alternativen Anspruch auf höhere Sozialleistungen anzuordnen. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Familienkassen soll verhindert werden, dass betroffene Kindergeldberechtigte, insbesondere Empfänger von Leistungen nach dem SGB II, ihren Mitwirkungspflichten gegenüber der Familienkasse nicht nachkommen, weil das Vermeiden dieses Aufwands für sie folgenlos wäre. Deshalb rechtfertigen Verletzungen von Mitwirkungspflichten regelmäßig die Versagung des ansonsten gebotenen Billigkeitserlasses aus sachlichen Gründen.
Diese Kriterien entsprechen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z. B. FG Düsseldorf, Urteile vom 7.04.2016 16 K 377/16 AO, juris, vom 24.02.2011 16 K 2050/09 Kg, EFG 2011, 1489 und vom 6.03.2014 16 K 3046/13 AO, EFG 2014, 977; FG Bremen Urteil vom 28.08.2014 3 K 9/14 (1), EFG 2014, 1944). Hiernach besteht keine generelle Verpflichtung der Familienkasse, einen Billigkeitserlass auszusprechen, wenn Kindergeld auf SGB-II Leistungen angerechnet wurde und es später mangels eines Kindergeldanspruchs zur Rückforderung des Kindergelds kommt. Die Familienkasse braucht sich nicht in jedem Falle die „Ersparnis“ des Sozialleistungsträgers vorhalten zu lassen, sie ist nicht daran gehindert, den durch die rechtsgrundlose Überzahlung des Kindergeldes eingetretenen eigenen Vermögensnachteil geltend zu machen. Vielmehr ist im Billigkeitsverfahren das Verhalten des Kindergeldberechtigten bzw. Abzweigungsempfängers, des Sozialleistungsträgers und der Familienkasse zu würdigen und abzuwägen. Diese Grundsätze hat der BFH gebilligt (für das Revisionsverfahren gegen das Urteil des FG Düsseldorf vom 7.04.2016 16 K 377/16 AO wurde PKH versagt, BFH-Beschluss vom 1.09.2016 V S 16/16 (PKH), bisher nicht veröffentlicht).
dd) Im Streitfall hat die Familienkasse den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt und damit einen schwerwiegenden Ermessensfehler begangen, indem sie ein Verschulden der Antragstellerin im Sinne einer Mitwirkungspflichtverletzung angenommen hat. Demgegenüber ist anhand der Kindergeldakten erwiesen, dass die Klägerin kein Verschulden (im Sinne einer zu späten Mitteilung erkennbar kindergelderheblicher Vorgänge) trifft und dass sie nicht durch die Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG eine ungerechtfertigte Weitergewährung und damit letztlich die Überzahlung des Kindergelds selbst verursacht hat:
Im Streitfall bestand offenkundig eine Mitwirkungspflicht. Denn die Klägerin hatte zunächst Kindergeld unter anderer Identität (falschem Namen und Geburtsdatum) und unter falscher Herkunft (als Flüchtling aus dem Irak statt als libanesische Zuwanderin) beantragt, allerdings unter Vorlage einer Bescheinigung der Stadt … über diese Doppelidentität (vom 11.11.2010, Bl. 3 der Kg-Akte). Die Klägerin hat Kindergeld deswegen im Hinblick auf ihren vorgelegten Aufenthaltstitel (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG) erhalten. Die einschränkenden Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG (Erfordernis einer Erwerbstätigkeit o. Ä.) galten für diesen „privilegierten“ Aufenthaltstitel nicht, so dass sie infolge dieses Aufenthaltstitels trotz ihres durchgehenden vollumfänglichen Sozialleistungsbezugs Kindergeld erhielt.
Nachdem der Klägerin in Übereinstimmung mit ihrer wahren Identität im November 2011 ein neuer Aufenthaltstitel erteilt worden war, der den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach, war sie gemäß § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet, dies der Familienkasse umgehend mitzuteilen. Insofern hatte die Familienkasse (wohl veranlasst durch die Fiktionsbescheinigungen) die Klägerin wiederholt gebeten (Schreiben vom 5.05. 2011 und vom 26.07.2011), einen aktuellen Aufenthaltstitel vorzulegen. Dies hat die Klägerin aber auch (einigermaßen zeitnah) getan. Sie hat am 19.12.2011 per Telefax ihren „neuen“ Aufenthaltstitel (vom 25.11.2011) in (hinreichend) lesbarer Form übermittelt. Mehr konnte man von der Klägerin nicht erwarten. Sie hat nie behauptet, erwerbstätig zu sein, vielmehr bereits mit ihrem ersten Kindergeldantrag den Bescheid des JobCenters (vom 7.09.2010) über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszugsweise vorgelegt.
Aufgrund des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG hätte die Familienkasse erkennen können, dass der Kindergeldanspruch jedenfalls seit Dezember 2011 von dem Erfordernis des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG abhängt, und entsprechend nachfragen können und sollen. Das Verhalten des Sozialleistungsträgers erscheint ebenfalls nicht fehlerfrei. Die Stadt … hat der Klägerin zunächst eine „Bescheinigung zur Vorlage bei der Familienkasse …“ erstellt, die ihre Doppelidentität ausweist und auf die (über die Fiktionsbescheinigungen) weiterwirkende (eigentlich ungerechtfertigte) Aufenthaltserlaubnis als irakischer Flüchtling Bezug nimmt. Damit konnte Kindergeld beantragt und auf die von dem JobCenter der Stadt erbrachten Sozialleistungen angerechnet werden (vgl. zu dem Erfordernis einer korrekten Behördenzusammenarbeit ausführlich FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 4.07.2017 1 K 34/16, juris – Revision: BFH III R 19/17 und FG Münster, Urteil vom 12.12.2016 13 K 91/16 Kg, juris).
c) Nach alledem (den dargelegten Grundsätzen der DA-KG 2017 als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift sowie der Rechtsprechung) besteht hier eine Verpflichtung der Familienkasse zum Erlass des Kindergeld-Rückforderungsanspruchs in dem Umfang, in dem Kindergeld im Streitzeitraum auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II tatsächlich angerechnet worden ist.
Betragsmäßig handelt es sich um 8.246 € (14 Monate a 589 €; 1 weiterer Monatsbetrag wurde bereits im Einspruchsverfahren erlassen). Denn entsprechend den vorgelegten ALG-II Bescheiden vom 6.12.2011, vom 23.03.2012, vom 15.10.2012, vom 17.12.2012, vom 01.02.2013 hat das JobCenter … der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar 2012 bis Februar 2013 unter Anrechnung von Kindergeld jeweils in Höhe von monatlich 589 € (nämlich für 2, 3 und 4) gewährt. Das Kindergeld für 1 (184 € für 15 Monate = 2.760 €) wurde demgegenüber nicht angerechnet, weil für diesen (wegen eigenen Einkommens) kein ALG-II Anspruch bestand.
d) Für einen weitergehenden Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Ein Billigkeitserlass wegen der Anrechnung des Kindergelds auf SGB-II-Leistungen soll bezwecken, die Klägerin insgesamt nicht schlechter zu stellen, als wenn sie von vorne herein (nur) die richtige Sozialleistung, also die ungekürzten SGB-II-Leistungen, erhalten hätte, mehr aber auch nicht (vgl. FG Münster Urteil vom 2.01.2017 7 K 2829/ 15 Kg, AO, juris, Rz. 22).
e) Ein weitergehender Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen ist nicht geboten.
Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt voraus, dass ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme der notwendige Lebensunterhalt des Steuerpflichtigen/ Kindergeldberechtigten vorübergehend oder andauernd nicht mehr bestritten und diese Gefährdung auch nur durch einen Erlass ausgeräumt werden kann. Kann die in der sofortigen Einziehung von Steuern liegende Härte durch eine Bewilligung von Raten oder sonstige Erleichterungen beseitigt werden, handelt die Finanzbehörde grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie entsprechende Erleichterungen anbietet bzw. gewährt und einen (Teil-) Erlass ablehnt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.07.1989 X B 111/88, BFH/NV 1990, 213; vom 12.02.1991 VII B 170/90, BFH/NV 1992, 42). Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene – wie die Klägerin im Streitfall – in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die (wegen des Pfändungsschutzes) derzeit eine Durchsetzung der in Frage stehenden Ansprüche ausschließen (so bereits BFH-Urteil vom 22.04.1975 VII R 54/72, BStBl II 1975, 727; BFH-Beschlüsse vom 24.10.1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285; FG Bremen Urteil vom 28.08.2014 3 K 9/14 (1), EFG 2014, 1944). Denn ein Erlass zielt nicht darauf ab, den Steuerschuldner von einer als unangemessen empfundenen Steuerschuld zu befreien oder ihm die Unannehmlichkeiten monatlicher Ratenzahlungen auf seine Abgabenrückstände zu ersparen. Hier bieten die Regelungen über den Vollstreckungsschutz im allgemeinen ausreichende Möglichkeiten, um Unzuträglichkeiten zu vermeiden und dem Steuerschuldner eine menschenwürdige Lebensführung zu erhalten. Ein auf wirtschaftliche oder existentielle Schwierigkeiten gestützter Erlass muss sich deshalb von solchen Situationen abheben, die bereits durch gesetzlichen Pfändungsschutz oder behördliche Vollstreckungsschutzmaßnahmen angemessen berücksichtigt werden können.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.